Zutaten für Politisches Frühstück zur Europawahl: Man nehme Croissants, Kaffee, die neue Sitzverteilung im EU-Parlament, zahlreiche Wahlstatistiken et voilà!
Montag, 3. Juni 2019 |
Wie bringt man Studierende und interessierte Bürger*innen unterschiedlichen Alters am Tag nach der Europawahl zusammen, um die Ergebnisse des Vorabends zu analysieren und zu diskutieren, wo doch die Internetkanäle voll von Informationen sind, nur ein Mausklick entfernt, ganz ohne das Haus verlassen zu müssen? Der Schlüssel sind Croissants, Kaffee und Englischer Schwarztee. Beinah schon der erste subtile Kommentar zur Europawahl und dem Brexit. Eine Kooperation von Centre Culturel Francais Freiburg (CCFF), der Landeszentrale für Politische Bildung und dem Frankreich-Zentrum hat genau das umgesetzt und am Montagmorgen in das CCFF am Münsterplatz eingeladen.
Durch einen Dialog zwischen Dr. Marcus Obrecht (Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg) und Dr. Isabelle Guinaudeau (Sciences Po Bordeaux, derzeit Stipendiatin der Humboldt-Stiftung an der Universität Stuttgart) wurden die Wahlergebnisse fundiert und faktenreich in den aktuellen politischen Diskurs in Frankreich und Deutschland eingebettet.
Doch bevor die zahlreichen Statistiken und Kuchendiagramme genauer betrachtet wurden, führte Isabelle Guinaudeau in den gesamteuropäischen Kontext vor der Wahl ein. Besonders die Themen Klimaschutz und Brexit bestimmten die Debatten vor der Wahl. Nach wie vor Thema seien Geflüchtete. Zentral von Bedeutung sei darüber hinaus der Euroskeptizismus. Als problematisch stellt Guinaudeau dabei heraus, dass sich die Debatte in zwei Lager für und gegen Europa spalte und so die Frage nach den Inhalten und der Gestaltung Europas innerhalb der einzelnen Lager ausbleibe.
Der erste positive Befund bei einem Blick auf die Wahlergebnisse sei die Wahlbeteiligung. Während seit 1994 das Interesse an den Europawahlen kontinuierlich abnahm, festzumachen an der sinkenden Wahlbeteiligung, und das obwohl das Europaparlament institutionell gesehen stärker geworden ist, verzeichnete die diesjährige Europawahl mit einer Beteiligung von 51% erstmals wieder einen Anstieg. In Deutschland war es mit 61,5% im Vergleich zur Wahl 2014 ein klarer Sprung nach oben. Ähnliches lässt sich in Frankreich beobachten.
Schaut man sich nun an, welche Parteien und Bewegungen gewählt wurden, so ist klar auszumachen: Verlierer der Wahl sind die Altparteien. Während in Frankreich die Republikaner und Sozialisten deutlich an Stimmen eingebüßt haben, so ist die gleiche Tendenz bei der SPD und der CDU/CSU auf der anderen Seite des Rheins zu beobachten. In beiden Ländern gehörten die Grünen zu den Gewinnern. Überraschend stehen sie in Frankreich nach dem Rassemblement National und der Bewegung La République en Marche mit 13,4% an dritter Stelle mit. In Deutschland haben die Grünen es mit 20,5% an Platz zwei hinter die CDU/CSU gebracht.
Besonders für Emmanuel Macron war die Wahl nicht unbedeutend, brachte er sich doch persönlich auch immer wieder in Wahlkampf mit ein. Mit der Präsidentschaftswahl 2017 wurde das ehemalige Parteiensystem aufgesprengt und gerade durch Macron rücken europapolitische Themen stärker in den Vordergrund. Dennoch hat er sein selbstgestecktes Ziel als stärkste Partei aus der Wahl hervorzugehen verfehlt. La République en Marche erreichte 22,4% während Marine le Pens Rassemblement National zwar verglichen mit der vergangenen Europawahl an Stimmen einbüßen musste, dennoch mit 23,3% in Frankreich stärkste Kraft ist.
Die an die Analyse der Wahlergebnisse anschließende Fragerunde entwickelte sich äußerst vielfältig und erkenntnisreich. Zuerst ging es um den strukturellen Aufbau der EU. Isabelle Guinaudeau machte die Komplexität der Europäischen Union insofern deutlich, als dass ein Vergleich zu nationalen politischen Organen nur bedingt möglich sei. Marcus Obrecht wies in diesem Zusammenhang explizit noch einmal auf die Wichtigkeit des Parlaments hin, dessen Existenzberichtigung seitens der Euroskeptiker nicht selten in Frage gestellt wird. Obrecht machte auch klar, dass eine Abschaffung desselben in den kommenden Jahren äußerst unwahrscheinlich sei.
Die nächste Frage schnitt den Einfluss der Gelbwesten Bewegung auf den Wahlausgang an. In der Diskussion wurde eine weitere aktuelle Tendenz aufgedeckt: mit einem Blick auf den Wahlzettel wird ersichtlich, wie viele Parteien sich explizit nur einem Thema zuwenden, etwa Familie oder Tierschutz. Das extreme Beispiel für diese Entwicklung ist Nigel Farages Brexit-Partei, die in Großbritannien als Sieger aus der Europawahl hervorgegangen ist. In diesem Zusammenhang wird auch die Schwierigkeit der etablierten Parteien klar, die sich zu vielen unterschiedlichen Themen positionieren müssen und sich nicht auf einzelne Themen festlegen lassen. Zur Sprache kam ebenso die veränderte Rolle der Medien anhand des Videos „Die Zerstörung der CDU“ des Influencers Rezo. Obrecht verwies dabei auf die schwierige Situation der CDU, die in einer Reaktion darauf nur Fehler machen könne.
Doch auch mit all den Beobachtungen und Analysen ist die Debatte um die Europäische Union noch lange nicht abgeschlossen, denn die eigentlich spannenden Fragen, welche Bündnisse nun geschlossen und wer in Zukunft Kommissionspräsident*in wird, sind noch offen.