Macron oder Le Pen? – Frankreich hat die Wahl Podiumsdiskussion nach dem ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen
Freitag, 28. April 2017 |
Rund 150 Zuhörer kamen am Abend des 24. April 2017 zu einem Diskussionsabend, zu der das Frankreich-Zentrum, die Landeszentrale für politische Bildung – Freiburg, das Centre Culturel Français Freiburg sowie das Colloquium Politicum im Anschluss an den ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen eingeladen hatten.
Auf dem Podium diskutierten der Leiter des Pariser Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, Stefan Dehnert, und die beiden Politikwissenschaftler Prof. Dr. Joachim Schild (Universität Trier) und Prof. Dr. Sabine Ruß-Sattar (Universität Kassel), moderiert wurde das Gespräch von Dr. Marcus Obrecht (Seminar für wissenschaftliche Politik, Universität Freiburg) und Dr. Michael Wehner (Landeszentrale für politische Bildung, Freiburg). Den geladenen Gästen gelang es, den Zuhörern anhand einer sehr angeregten Diskussion einen umfangreichen und in erster Linie aktuellen Überblick über den Stand der Politik in Frankreich am Tag nach dem ersten Wahlgang zu geben.
„War das Wahlergebnis denn nun eine Überraschung?“ – die erste Frage von Herrn Dr. Obrecht leitet den ersten größeren Themenblock ein, der sich mit den Ergebnissen der ersten Wahlrunde beschäftigt. Professor Schild betont hier vor allem, dass das erste Mal keine der beiden großen Volksparteien, also weder die Republikaner, noch die Parti Socialiste, in die zweite Wahlrunde gekommen ist und beide Parteien zusammen gerade einmal ein Viertel der Stimmen erreichten – ein Ergebnis, dass es so noch nie gab. Eine Überraschung war das Ergebnis bezüglich der Kandidaten jedoch nicht, schließlich konnte man absehen, dass einige Franzosen „par défaut“ für den sozialliberalen Macron wählen würden, der als Kandidat der Mitte als einziger eine Regierung der rechtsextremen Marine Le Pen verhindern könnte.
Bei der Analyse der Wähler im Allgemeinen sind sich die drei Diskussionsteilnehmer darüber einig, dass die Tatsache, dass vor allem junge Franzosen die extrem-linken und extrem-rechten politischen Lager bevorzugen, besorgniserregend ist, auch wenn es sich dabei um ein auf ländliche Gebiete beschränktes Phänomen handelt. Frau Professor Ruß-Sattar nennt für diese soziale Struktur der Wähler drei zentrale Gründe: die Globalisierung, die in Frankreich als sehr negativ wahrgenommen wird, der Wunsch des Volkes, wieder mehr Autonomie und Macht zugesprochen zu bekommen und eine gewisse Wut der Bürger, die sich gegen die Politik im Allgemeinen, aber auch gegen einzelne Personen und Institutionen, wie die EU, richtet. Stefan Dehnert fügt hier an, dass gerade der Präsident, der in Frankreich immer eine Art „heroische Lichtgestalt“ war, den Anforderungen der Bürger nicht mehr gerecht wird, weswegen seine relativ uneingeschränkte Handlungsfreiheit durch die Forderung der Bürger nach mehr Autonomie immer mehr in Frage gestellt wird. Professor Schild führt zudem wirtschaftliche Gründe an, wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit und den hohen Prozentsatz an befristeten Verträgen unter den jungen Arbeitnehmern, die unter Wählern Zukunftsangst schüren und dementsprechend den Hang zum Populismus enorm steigern.
Neu ist bei den Wahlen 2017 jedoch, dass es mit Emmanuel Macron erstmals auch einen Populismus der Mitte gibt, so Schild: ein junger Politiker, der – im Gegensatz zu den in Frankreich vorherrschenden pessimistischen Diskursen – ein Zukunftsoptimist zu sein scheint, der seinen Antrieb in erster Linie aus einem Antisystemcharakter zieht, welcher angesichts seiner eigenen Karriere, so betont Schild, nichts anderes als eine Farce ist. Im Wahlkampf ist es, so Ruß-Sattar, jedoch nicht nur Macron, der eine tiefgreifende Veränderung zum Leitfaden seiner Reden macht: jeder Kandidat sprach im Laufe seines Wahlkampfes irgendwann von „Revolutionierung“ – eine Rhetorik, die in Frankreich, auf fruchtbaren Boden fällt, begünstigt das Land doch durch seine politische Struktur populistische Bewegungen. Dazu kommt, dass Frankreich sehr globalisierungsskeptisch ist und auch die EU mittlerweile nicht mehr als Schutzschild betrachtet, sondern als Aggressor, der Vorschriften aufoktroyiert, die das französische Volk nicht will.
Dass Macron ein vielversprechender Kandidat ist, darin scheinen sich alle Diskutierenden einig zu sein. Nicht nur seine proeuropäische Einstellung beruhigt Deutschland, wie aktuelle Medienberichte zeigen, auch sein Pragmatismus und sein Liberalismus, der mit sehr sozialen Programmpunkten einhergeht, wie beispielsweise Reformen in den Strukturen des Bildungssystems. Dehnert betont an dieser Stelle, dass Macron vor allem zum Ziel hat, weder den rechten, noch den linken Flügel „vor den Kopf zu stoßen“, was sich natürlich auch in seinem Programm niederschlägt. Schild hebt vor allem auch die wirtschaftsbezogenen Aspekte seines Programms hervor, wie die geplante Rentenreform und die Begünstigung der Mobilität von Arbeitnehmern.
Was sich bei den Parlamentswahlen im Juni ergeben wird und mit welchen Parteien Macron in seiner Amtsperiode letztendlich regieren wird, ist genauso wenig abzusehen, wie das Wahlergebnis am kommenden Sonntag. Unklar ist außerdem, wie sich angesichts der Wahlergebnisse die Parteienstruktur in Frankreich generell verändern wird: Hat die Parti socialiste überhaupt noch eine Zukunft nach der Niederlage im ersten Wahlgang und dem Aufwind Jean-Luc Mélenchons als Vertreter der „La France insoumise“-Bewegung und Emmanuel Macrons als Begründer seiner eigenen Partei „En Marche!“? Die Formierung nach den Wahlen im Juni wird zeigen, wie sich die Parteienlandschaft in unserem Nachbarland in Zukunft entwickeln wird und welche Möglichkeiten sich für den zukünftigen Präsidenten (oder aber, im weniger wahrscheinlichen Fall, für die zukünftige Präsidentin?) ergeben werden.
Macron stünde als zukünftiger Präsident Frankreichs aber vor allem vor einer großen Verantwortung: Frankreich wieder zu zeigen, dass es ein Land ist, das von Globalisierung und EU-Mitgliedschaft profitiert, dass es ein Land mit vielen Stärken ist und optimistisch in die Zukunft blicken kann. Und dies nicht nur, um bei den Wahlen in fünf Jahren eine rechtsextreme Präsidentin zu verhindern, sondern auch, um dem Land wieder neues Selbstbewusstsein zu geben.