Von Erbfeinden zu guten Nachbarn

Montag, 14. Juni 2021 | 

Am 6. Mai 2021 fand an der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg eine Tagung statt, die den Titel trug „Von Erbfeinden zu guten Nachbarn. Die deutsch-französischen Beziehungen, 150 Jahre nach Beendigung des Krieges 1870/71“. Die Katholische Akademie hatte gemeinsam mit dem Frankreich-Zentrum, dem Historischen Seminar, dem Centre Culturel Français Freiburg und dem Literaturhaus Freiburg eingeladen, ausgehend von diesem historischen Ereignis über die gegenwärtigen nachbarschaftlichen Beziehungen nachzudenken.

Buchcover 978-3-15-011226-7

Eingeleitet wurde die Tagung mit einigen Überlegungen und Beispielen zur deutsch-französischen Erinnerungskultur, die Prof. Dr. Tobias Arand, der in Ludwigsburg Geschichte und deren Didaktik unterrichtet, den zahlreich zugeschalteten Zuhörern präsentierte. In seinem Vortrag mit dem Titel „Die Völker haben ein langes Gedächtnis. Die deutsch-französischen Kriege und die Überwindung der Erbfeindschaft“ schlug er den Bogen von der Erbauungsliteratur des Dr. Karl Wild, der 1917 mit seiner Schrift „für die im Schützengraben und die daheim“ daran erinnern wollte, „wie die Franzosen vor 200 Jahren in Heidelberg und in der Pfalz hausten“ bis hin zu kriegsaffirmativer Erinnerung in deutschen Straßennamen, die bis heute in vielen Städten erhalten sind.

Im anschließenden Gespräch von Prof. Dr. Hélène Miard-Delacroix (Geschichte, Sorbonne Paris) und Prof. Dr. Andreas Wirsching (Neuere Geschichte, LMU München), das von Prof. Dr. Jörn Leonhard (Neuere und Neueste Geschichte, Freiburg) moderiert wurde, gab das titelgebende Buch „Von Erbfeinden zu guten Nachbarn“ (Reclam Verlag, Stuttgart 2019) den Parcours vor: Die Frage, wann die Geschichte der Erbfeindschaft beginnt, erforderte zunächst einen Blick auf die unterschiedliche Staatsbildung im Frankreich und Deutschland des 19. Jahrhunderts. In Frankreich stärkte die Französische Revolution das nationalstaatliche Konstrukt, in Deutschland erfolgte die Bildung einer Nation stark in Abgrenzung gegen andere, insbesondere gegen Frankreich. Die drei tiefgreifenden Nachkriegssituationen von 1870, 1918 und 1945 wurden im weiteren Gesprächsverlauf in ihrer jeweiligen Bedeutung für die beiden Nationen analysiert, bevor sich die abschließende Frage stellte, was denn die Aussöhnung im Elysée-Vertrag von 1963 ermöglicht habe. Hélène Miard-Delacroix sieht den Grund hier in einem bewussten Setzen auf gute Emotionen, die auf einer gemeinsamen Erfahrung von Leid beruht. Jörn Leonhard erinnert aber auch daran, dass Peter Sloterdijk vor einigen Jahren (nämlich bei seiner Eröffnungsrede zu den Deutsch-Französischen Kulturgesprächen 2007) bereits angemerkt habe, die Ereignisse der 60er Jahre könnten keine Hülle für heutige politische Entwicklungen sein. Wie also ist es heute um die nachbarschaftlichen Beziehungen bestellt?

Zur Erörterung und Veranschaulichung dieser Frage waren in einer abschließenden Runde Vertreter und Vertreterinnen verschiedener deutsch-französischer Einrichtungen eingeladen, die mit den Podiumsgästen ins Gespräch kamen. Florence Dancoisne (Direktorin des Centre Culturel Français Freiburg), Prof. Dr. Daniel Jacob (Vorsitzender des Vorstands des Frankreich-Zentrums der Universität Freiburg) und Johannes Remmer (Direktor des Deutsch-Französischen Gymnasiums, Freiburg) konnten dabei zeigen, in welchem Maß das einst national, durch Abgrenzung oder aber Bewunderung, aber doch mit  Blick auf die Kraft der großen Kollektive geprägte Interesse am Nachbarn heute eher in einem Begriff von Internationalität aufgeht, der ein stärker individuelles Interesse am Nachbarn mit sich bringt und oft sogar schlicht einer gewissen Nüchternheit bei der Bewältigung praktischer Aufgaben gewichen ist. Es sind „gute Nachbarn“, die im europäischen Gesamtkontext zusammenarbeiten, nicht immer ohne Spannungen, aber mit hoher gegenseitiger Wertschätzung.

Ein verkürzter Mitschnitt der Tagung findet sich als Hörfassung unter folgendem Link:
https://www.youtube.com/watch?v=TFD_gebBD0k

Ein Beitrag von Barbara Schmitz

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