„Charlie Hebdo: Appréhender l‘assassin? Charlie Hebdo: Capture the perp?“
Montag, 13. Februar 2017 |
Am 26. und 27. Januar 2017 fand im Zentrum für Populäre Kultur und Musik unter diesem Titel eine öffentliche Tagung statt, die vom Frankreich-Zentrum veranstaltet und von der am Romanischen Seminar verwalteten Dr.-Jürgen-und Irmgard-Ulderup-Stiftung unterstützt wurde. Die insgesamt zehn Vortragenden versuchten, sich in französischer, englischer und deutscher Sprache wissenschaftlich mit Charlie Hebdo und vergleichbaren Karikaturen auseinanderzusetzen und der Frage nachzugehen, wie sich die Diskussion um Terrorismus nach den Attentaten auf Charlie Hebdo verändert hat.
Die Freiburger Professoren Rolf Kailuweit und Stephan Packard eröffneten das Kolloquium mit einer kurzen Einführung: Unter all den Terrorismusakten der letzten Jahre spielten die Anschläge auf Charlie Hebdo aufgrund der daraufhin folgenden Geschehnisse und der Vielzahl an entstandenen Symbolen und Slogans eine spezielle Rolle. Die Satire-Zeitschrift sah sich bereits vor den terroristischen Anschlägen vom 7. Januar 2015 mit Vorwürfen des Antisemitismus und der Islamophobie konfrontiert.
Stephan Packard bezeichnete in seinem Vortrag die Karikaturen des Magazins Charlie Hebdo als aggressiv und deren Zeichner als satirische Kommentatoren, welche sehr mutig mit den Anschlägen auf ihre eigene Redaktion umgegangen seien. Auffällig scheine hier die Nutzung stereotyper Darstellungen, die sowohl die die Zeichner als auch die Rezipienten kennen, nutzen und verstehen. So hält etwa Mohammed im ersten Band nach den Anschlägen ein Plakat mit den Worten „Je suis Charlie“ in den Händen.
Der anschließende Vortrag von Elisabeth Klar (Wien) drehte sich hingegen vor allem um die Trauer und das Trauma nach den Anschlägen auf die Redaktion Charlie Hebdos. Klar bezeichnet die erste Ausgabe nach den Attentaten als Symbol zwischen Triumph und Niederlage: Worten und Sinn wird ein höherer Wert zugeschrieben als den Waffen, die letzten Endes triumphiert haben. Diskutiert wurde im Anschluss darüber, ob die Attentate aufgrund einer problematischen Rezeption der Karikaturen stattgefunden haben oder ob die Zeichnungen des Propheten der ausschlaggebende Grund hierfür waren.
Zum Ende des ersten Konferenztages beschäftigte sich Philippe-Joseph Salazar (Kapstadt/Paris), mit den terroristischen Tätern: Sind diese allesamt von Grund auf bösartig und was sind ihre Motive? Wer den IS besiegen wolle, so Salazar, müsse dessen Propaganda und Rhetorik verstehen. Daher wirft er den Medien vor, das Denken und die Motive der terroristischen Anhänger nicht näher zu erläutern. Er selbst unterscheidet zwischen den Tätern, deren Taten eine sakrale Funktion haben und denjenigen, die grundlos töten.
Der zweite Tag der Konferenz beginnt mit einem gemeinsamen Vortrag von Rolf Kailuweit und Jacqueline Balint (Brest). Diskutiert wird hier vor allem über Unterschiede und Parallelen zwischen den Attentaten von Paris im Jahr 2015 und dem Attentat 2004 in Madrid. An beiden Orten kam es zu ritualisierten öffentlichen Praktiken wie den sogenannten „Grassroots Memorials“, die eine private Trauer zum Ausdruck brachten: Öffentliche Orte werden besetzt und mit Kerzen, Blumen und Briefen geschmückt. Unterschiedlich sei jedoch der religiöse Bezug in den beiden Städten gewesen, in Madrid waren religiöse Symbole durchaus präsent, während im laizistischen Frankreich Religion eher kritisiert wurde.
Laura Fuchs-Eisner (Wien) referierte am zweiten Konferenztag über zwei Romane von Y.B., Allah superstar und Bugsy Pinsky contre le complot juif– ersterer als „ein extremer Roman gegen den Extremismus“, zweiterer als „der erste antisemitische Roman gegen Antisemitismus“ angekündigt. In beiden Büchern finden sich Grundzüge der satirischen Literatur, Gegensätze werden vermischt und eine eindeutige Parteinahme verweigert. Beide Romane verfolgen laut Fuchs-Eisner dasselbe Vorhaben wie Charlie Hebdo: subversiven, ja terroristischen Humor zu verbreiten.
Isabelle Touton (Bordeaux) sprach im Anschluss von der Debatte über die Islamophobie, welche durch die Anschläge im Januar 2015 aufkam. Zu bedenken gab sie, dass Terrorismus heutzutage fast ausschließlich als islamistischer Terror bezeichnet werde. Die Angst der Menschen vor dieser Bedrohung scheine auch gerechtfertigt, es gelte jedoch, hier den Einfluss der Medien und des sehr oberflächlichen Diskurses der Medien kritisch zu betrachten.
Marie Schröer (Berlin) analysierte in ihrem Vortrag jene Comics, die von den überlebenden Zeichnern als sogenannte Erlebnisberichte nach den Attentaten auf Charlie Hebdo angefertigt wurden. Luz veröffentlichte nach den Attentaten einen Comic, in dem eine Not, sich Luft machen zu müssen, die Zerbrechlichkeit des Lebens, die Trauer sowie die Brutalität der Ereignisse deutlich werden. Auch Catherine Meutrisse, ein weiteres Mitglied der Redaktion von Charlie Hebdo, hat ein solches Buch publiziert, in dem sie ihre Wut und ihre verlorene Freiheit nach den Anschlägen beschreibt.
Der folgende Beitrag von Christina Grieb (Düsseldorf) thematisierte den medialen Auftritt der französischen Rechtsparteien nach diesen Attentaten. Deutlich werde hier vor allem die Nutzung eines sehr dramatischen Vokabulars. Der Front National unterscheide nach den Attentaten konsequent zwischen „Franzosen“ und „Moslems“, um den Islam von der nationalen Gemeinschaft abzugrenzen. Außerdem schaffe er eine Krisenatmosphäre, um sich als möglichen Retter aus dieser Krise anzubieten, während die jetzige Regierung als unfähig dargestellt werde, ihre Bürger zu beschützen.
Im letzten Vortrag der Konferenz referierte Klaus Theweleit (Freiburg) über die politische Inkorrektheit in den Comics von Robert Crumb. In Crumbs Comics wird wie bei Charlie Hebdo ein äußerst harter Humor verwendet. Crumb jedoch treibt diesen Humor durch die Nutzung politisch inkorrekter Stereotype bis aufs Äußerste, indem er Patriotismus, Dunkelhäutige und Juden verspottet. Er gebe auf diese Weise zu verstehen und kritisiere gleichzeitig, dass diese Klischees allgemein im kulturellen Unterbewusstsein verankert seien.
Nach zwei Tagen äußerst interessanter und sehr unterschiedlicher Beiträge endete eine Konferenz, die von lebhaften Diskussionen geprägt war und in vielfältiger Weise zum Nach- und Weiterdenken angeregt hat.