Nachts, wenn Freiburgs Heinzelmännchen schuften

Dienstag, 15. Dezember 2015 | 

Jeden Morgen finden Zeitung, Brötchen und Müll ihren Platz – selbstverständlich und wie von Geisterhand. Wer ist da so fleißig am Werk, während wir schlafen? Eine nächtliche Fahrt mit den Heinzelmännchen der Stadt.

Von Anna Manceron, Julia Gnann und Philine Sauvageot (Deutsch-Französische Journalistik 2015/16)

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Es ist Nacht, alles schläft. Nicht ganz: Freiburgs Heinzelmännchen huschen durch die Stadt

 

4:30 Uhr. Freiburgs Straßen im Stühlinger liegen im Dunkeln. Vereinzelt verirrt sich ein zirpender Vogel; die Straßenlaternen werfen trübes Licht auf die verlassenen Bordsteine. Die schläfrige Stille an diesem Dezembermorgen durchbricht nur das mechanische Geräusch ächzender Briefkästen. Ihre Klappen bleiben weit geöffnet; die neuesten Nachrichten des Tages warten hier nun geduldig auf ihre Leser.

Briefkasten
Die erste Nachteule schwingt sich samt Zeitungen aufs Rad

Christiane dreht bereits ihre zweite Runde an diesem Morgen. Seit 2:30 Uhr ist sie unterwegs. An einer Tankstelle in der Eschholzstraße, aus einer verschließbaren Box heraus, hat sie die Zeitungen wie an jedem Morgen in ihrem schwarzen Anhänger und in den Satteltaschen verstaut. Auf ihrem Sportrad fährt sie von Haus zu Haus. So sei sie wesentlich schneller als mit dem Auto, sagt sie. Seit acht Jahren ist Christiane beim BZ-Lieferservice angestellt. Doch sie trägt nicht nur die Badische sondern auch die großen überregionalen Zeitungen aus.

Ihr Wecker klingelt um 2 Uhr. Ohne Tasse Kaffee fährt sie direkt zum Depot – denn wo soll sie während der Arbeit eine Toilette finden, sobald die Blase drückt? Warm eingepackt in Mütze, Fleeceschal und einer hellgrün leuchtenden Winterjacke schaut nur ihr müdes, aber freundliches Gesicht heraus. Auf der Stirn leuchtet ihr eine Lampe den Weg zum Briefkasten, wenn der Hauseingang im Dunkeln liegt. Christiane strahlt Ruhe aus; ihr Lachen ist herzlich. Leichtfüßig schwingt sie sich auf ihr Rad und wieder hinunter. Bei kurzen Strecken schiebt sie ihr Gefährt mit einem Fuß an wie einen Roller. Das stetige Stop and Go und die genaue Route beherrscht sie wie im Schlaf. Da die Exemplare genau abgezählt sind, muss sie alle richtig verteilen. Ein Schlüsselbund öffnet ihr die Tür, wenn sich die Briefkästen im Hausflur verstecken. Versperrt ein Zaun den Zugang zum Hof, wirft Christiane das gewünschte Blatt in hohem Bogen über das Tor. Hat sie alles richtig gemacht, bleibt auch für sie selbst am Ende der Tour eine BZ übrig.

Ein Kollege strampelt vorbei. Eine Hundeschar und ihre Halterin begrüßen Christiane überschwänglich. Nachtschwärmer unter sich. Auch Katzen und Füchse begegnen ihr für gewöhnlich – und eines Tages ein ausgebüxtes Hängebauchschwein. „Das ist wohl das Exotischste, was mir bisher über den Weg gelaufen ist“, erzählt Christiane schmunzelnd. So ist sie zwar nie alleine, hat aber immer die volle Kontrolle. Sie selbst bestimmt, in welcher Reihenfolge sie ihre Kunden beliefert – ein Vorteil ihrer Arbeit, findet sie.

„Ich krieg schon Nachtzuschlag, aber ich verdien‘ so viel, dass es grad mal für die Miete reicht.“

Eigentlich suche sie eine Arbeit, der sie tagsüber nachgehen könne. Noch ist ihr Rhythmus aber auf die Nacht ausgelegt. Wenn sie um 6 Uhr Feierabend macht, räkeln sich die Freiburger noch in ihren Laken. Ihr Tag beginnt nach einer kurzen Ruhepause und dem ersten Frühstück um 10 Uhr – mit einem eigenen Exemplar der Badischen in der Hand.

Zur Zeitung werden nun pünktlich auch die Brötchen geliefert

4:50 Uhr am Schwabentor. Etwa drei Kilometer von Christiane entfernt, ist auch hier weit und breit kaum eine Menschenseele unterwegs. Kein Klingeln der Straßenbahn, keine Motorengeräusche, nur das leise Plätschern des Gewerbekanals ist zu hören. Ein süßlicher Duft von Hefe und Butter führt die Nase hungriger Nachtschwärmer zur Backstube Lienhart. Auch zwei kleine erleuchtete Fenster verraten, dass hier fleißige Bäcker am Werk sind.

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Meister Lienhart und seine Mitarbeiter sortieren die Backwaren ein

Ein Passant klopft an das Tor, das den Namen der Bäckerei in großen, magentafarbenen Lettern trägt. Ein Mann in weißem T-Shirt und weißer Schürze, der Bäckermeister Lienhart persönlich, öffnet und nimmt die Bestellung entgegen, reicht dann die ofenfrische Ware heraus. Hinter ihm, in der Vorhalle der Backstube, unter Neonlampen, herrscht geschäftiges Treiben. Dampfende Brötchen, Berliner, Bretzeln, Mandelschnitten und Lebkuchen purzeln vom Blech hinunter in farbenfrohe Paletten. Drei Männer sortieren sie im Akkord. Die Auslieferung kann beginnen.

Neben den fünf Hausfilialen beliefert die Bäckerei Lienhart an jedem Tag etwa dreißig Kunden, darunter Senioren- und Pflegeheime, Schul- und Firmenkantinen. Noch bis um 3 Uhr in der Nacht können diese ihre Bestellungen abgeben. „Die Flexibilität zeichnet uns aus“, meint der Chef. Zwei fest angestellte Auslieferer fahren von 4:30 Uhr bis spätestens 12 Uhr durch Freiburgs Straßen, laden ein und aus.

liebevoll

Heute springt Rolf für einen kranken Kollegen ein. Seit 25 Jahren ist er Bäcker Lienharts „Mädchen für alles“. Er ist breitschultrig und kräftig; unter der breiten Stirn sehen seine mandelförmigen Augen müde aus. Sein badischer Akzent ufert immer wieder aus; er ist teilweise kaum verständlich. Seine schwarze Fleecejacke ziert auf der linken Brust das Symbol der Bäckerei: ein weißes Männchen mit Bäckermütze, mit Bretzel in der linken und Gugelhupf in der rechten Hand. Rolf lächelt schüchtern, fast bubenhaft. Per Knopfdruck lässt er das Tor der Halle nach oben fahren. Den weißen Kleintransporter hat er rückwärts vor der Stube geparkt. So kann er die Paletten mit einem schnellen Handgriff in den Kofferraum heben. Und so fährt er in Richtung Littenweiler, mit Frühstücksbrötchen im Gepäck und – so früh am Morgen – noch ohne Sahnetorten; die werden erst später geliefert, mit größter Vorsicht:

„Ich habe mal so einen ganzen Stapel Süßzeug versenkt, mit Sahnetorten und so weiter. Das konnte man den Schweinen geben. Das war bunt gemischt und nicht mehr zu gebrauchen.“

An das frühe Aufstehen hat sich Rolf gewöhnt. Er genießt die ersten Morgenstunden am Steuer, diese Ruhe in der Stadt: „Da kann man noch ein bisschen träumen.“ Später, ab 7 Uhr, setzt der Berufsverkehr ein. „Das kann schon mal stressig werden“, meint Rolf. Früh anfangen heißt aber auch früh aufhören. Da bleibt Zeit für einen Nebenjob, das Haus, den Garten und Hobbys. Erst nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf, versteht sich.

Gut gelaunte Müllwerker entsorgen, was übrig ist

Inzwischen schlägt die Uhr 6. Christiane macht sich auf den Heimweg, Rolf hat jetzt Halbzeit. Der Müllwagen Nummer 538 verlässt seinen Betriebshof. Eine Mannschaft witzelnder Müllwerker sitzt darin und versprüht trotz nasskaltem Morgen gute Laune. In der Dunkelheit ist der Nieselregen kaum zu sehen; nur der Scheibenwischer wandert hin und her. In der Fahrerkabine ist es wohlig warm. Im Hintergrund rauscht das Radio; Baden FM informiert die Jungs der Abfallwirtschaft Freiburg über die Wetterbedingungen und sorgt für Unterhaltung. Das erste Ziel ist heute die Bertholdstraße.

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Mittwochs werden in der Freiburger Altstadt die Restmülltonnen geleert. Unerschrocken manövriert Kraftfahrer Jürgen den grünen Müllwagen der Marke Mercedes – seinen ganzen Stolz – durch die schmalen Gassen. Als echtes Bobbele kennt er sich in Freiburg aus. Heute 59 Jahre alt, arbeitet er schon seit 35 Jahren für die Abfallwirtschaft. Schon sein Vater war hier angestellt; er wollte es ihm gleichtun. Heutzutage kann nur Kraftfahrer sein, wer eine dreijährige Ausbildung abgeschlossen hat. Damals, bei Jürgens Einstellung, reichte ein Führerschein der Klasse B.

„Und den hat Väterchen Staat mir bei der Bundeswehr spendiert“, freut er sich.

Auf den Beifahrersitzen warten die Müllwerker Gregor und Zsolt auf ihren Einsatz in der Kälte. Als Lader müssen sie Jürgens „Wohnzimmer“, in dem er – wie er sagt- mehr Zeit verbringt, als auf seiner Couch zu Hause, gleich verlassen. Gregor reicht noch schnell eine Dose Minzpastillen herum, damit immerhin der Atem frisch bleibt. Dann öffnet sich die Automatiktür, Gregor und Zsolt springen heraus und schnappen sich je zwei graue Tonnen. In ihren reflektierenden orangefarbenen Warnwesten sind die Lader nicht zu übersehen. Eiligen Schrittes, mit festem Handgriff arbeiten sie die Straße ab. Robuste Handschuhe schützen sie vor Schmutz und Kälte. Mit ihnen hängen sie die Tonnen in die Vorrichtung des Müllwagens ein. Ein Knopfdruck – und sie fahren in die Höhe, kippen vornüber und entleeren sich klirrend und polternd. Schüttung heißt das bei den Jungs. Das Presswerk zermalmt den Inhalt. Es klirrt und scheppert. Eine Staubwolke entweicht wie flüssiges Gas. Es riecht vergoren. Jürgen lässt trotzdem das Fenster herunter und steckt sich eine Zigarette an. Er erinnert sich an die Müllfunde seines Vaters:

„Meine Mutter hat immer mit ihm geschimpft, wenn er irgendwas entdeckt hat. Er hat einmal einen kompletten Brockhaus-Band von 1889 mitgebracht.“

Der Müllwagen arbeitet eine Tonne nach der anderen ab – langsam, aber kontinuierlich. Erst die Bertholdstraße entlang, dann durch das Sedanviertel. Gregor und Zsolt sind ständig in Bewegung. Fast simultan springen sie auf die Trittbretter auf und bei der nächsten Tonne wieder ab. Es nieselt noch immer. Gregor wirft seine durchnässten Handschuhe unter den Beifahrersitz und streift sich ein trockenes Paar über. „Wind und Wetter sind die Nachteile des Jobs“, bestätigt er. Und die Gerüche? „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, meint Gregor schulterzuckend.

„Ab und zu gibt’s aber auch mal einen Behälter, der richtig stinkt“.

Erfahrungsgemäß sei das immer vor der Gaststätte „Schlappen“ der Fall. Am Boden der Tonne, die hier wartet, ergeben Alkohol und Essensreste eine böse Mixtur. Da müsse man besonders kräftig rütteln, um die Tonne zu leeren.

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Gregor, der routinierte Trittbrettfahrer

Das frühe Aufstehen ist für die Müllwerker sogar ein Pluspunkt. Um 15:30 Uhr haben sie Feierabend, freitags schon um 12 Uhr. Jürgen nutzt die Zeit für seine Familie und Gregor geht seiner Leidenschaft, dem Schlagzeugspielen, nach. Für Jürgen ist ihr Job krisensicher. Müll gebe es schließlich immer: „Viele möchten versuchen bei uns Fuß zu fassen und reinzurutschen. Isch so.“

Um 9 Uhr ist das Fassungsvermögen des Müllwagens von insgesamt 11 Tonnen voll ausgeschöpft. Gut beladen fährt die Mannschaft zurück zum Betriebshof, wo die Kantine mit deftigem Frühstück aufwartet. Heute serviert sie Pommes und hausgemachte Boulette, Würstchen und Schnitzel. Das gibt den „Umweltengeln“, wie Jürgen sich und seine Kollegen nennt, Kraft für die kommende zweite Hälfte des Arbeitstages.

„Die Freiburger wissen gar nicht, wie gut sie es haben,“ verabschiedet sich Jürgen mit einem Zwinkern.

 

 

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