Freiburg: Der Klang einer Stadt
Montag, 14. Dezember 2015 |
Tierlaute im Vauban, Baulärm an verschiedensten Ecken, Glockenläuten am Münstermarkt: Freiburg bietet eine erstaunliche Bandbreite an Klängen, Geräuschen und akustischen Signalen. Ein audiovisueller Spaziergang durch die Stadt im Breisgau.
von Simone AHRWEILER, Theresa STEUDEL und Nina ZEINDLMEIER (Deutsch-Französische Journalistik 2015-16)
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Freiburg ist eine Stadt der Musik, eine Stadt des Lärms und der Stille. Einige besondere Geschichten werden hier erzählt. Der akustische Rundgang führt zum Jazzchor Freiburg, zum Lokalverein Innenstadt, zum Singer-Songwriter Sebastian Hesselmann und zur Woche der Stille.
Gleichklang ist langweilig
Donnerstagabend, halb acht. Im Vorraum der Aula in der Lortzingschule versammelt sich wie jede Woche der Jazzchor Freiburg um zu proben. In zehn Tagen beginnt die Konzertreihe anlässlich des 25. Chorjubiläums. Chorsänger Detlef Eilers ist schon da, er baut die Technik auf: Boxen, Mikrofone, Kabelgewirr. Seit 15 Jahren singt er im Jazzchor, den Wunsch löste das Jubiläumskonzert zum zehnjährigen Bestehen aus: „Ich wusste sofort: Das ist genau meine Musik, da will ich mitsingen!“ Man merkt ihm seine Begeisterung auch heute noch an. Und nicht nur ihm. Dabei ist das leichter gesagt, als getan – Mitglied im Jazzchor Freiburg werden. Denn der Chorleiter stellt hohe Ansprüche an seine Sänger. Wer mitsingen will, muss drei Prüfungen bestehen, die das Vorsingen von insgesamt 12 Stücken umfassen. Klingt ambitioniert. „Schaffen auch nicht viele“, meint Detlef. Singen im Chor – ein Knochenjob?
2015 ist ein wichtiges Jahr für den Chor, denn er feiert 25-jähriges Bestehen. Bertrand Gröger war es, der ihn 1985 gegründet hat. In Freiburg, einer Stadt, in der der gebürtige Wolfsburger nach dem Studium „glücklich hängengeblieben“ ist: „Freiburg ist nicht sehr groß, aber dafür ein Schmelztiegel verschiedenster Menschen mit verschiedensten Stimmen. Und die kommen hier alle unter ein Dach, in unserem Chor.“
Wenn Gröger erzählt, glaubt man ihm, dass Musik mehr ist als eine Wissenschaft, die er auch in Hamburg und Paris studierte. Musik ist Emotion. Und Chormusik ist vor allem Vieles gleichzeitig: „Die Faszination von Chorgesang ist, sich auf eine Art ähnlich zu werden, obwohl jede Stimme verschieden ist. Gleichklang kann es nicht geben, sonst wäre es nicht mehr spannend, aber man gleicht sich einander an. Dann entsteht der einzigartige Chorsound.“ Gröger hat schon mit vielen Chören gearbeitet. Den individuellen Klang seines Jazzchors herauszuarbeiten, ist ihm wichtig: „Wir wollen die Stücke so singen, wie sie noch niemand vorher gesungen hat.“
Gröger wuchs mit klassischer Musik auf. Im Alter von neun Jahren setzte er nachts heimlich die Kopfhörer des Vaters auf, um noch eine Brahms-Symphonie zu hören. „Wenn ich etwas höre, dann sehr bewusst. Ich kann inzwischen gar nicht mehr anders, ich nehme alles sehr intensiv und analytisch war, als wäre ich in einer Probe.“ Das spürt er schon während des Studiums und hört daher in seiner Freizeit kaum noch Musik. „Um meine Ohren zu schützen, sie auch der Ruhe preiszugeben“, erklärt er. Dennoch zieht es ihn an einem freien Abend immer in den Konzertsaal. Symphoniekonzerte hört er dann, am liebsten in großer Besetzung. Als er 1985 nach Freiburg kommt, ist dort „schon unheimlich viel los“: Im Jazzhaus, das eigentlich ein Parkhaus hätte werden sollen, finden große Namen wie die Ikone Dee Dee Bridgewater eine Bühne und ein Publikum. Gröger leitet damals eine Swing- und Jazzband in Bremen, zieht für das Studium nach Freiburg. Dort gründet er schließlich den Jazzchor.
Die Probe beginnt, das Stimmengewirr legt sich. Die 25 Chormitglieder stellen sich zum Einsingen auf und plötzlich ist es ungewohnt still. Niemand redet mehr, niemand singt. Noch nicht. Der Chorleiter steht in der Mitte der Sänger. Er reckt die Arme weit nach oben, die Sänger tun es ihm gleich, er lässt sie wieder sinken und atmet dabei laut aus. Das Geräusch hallt durch den Raum. Gröger gähnt laut, alle stimmen ein. Es folgen weitere Übungen. Schließlich setzt er sich an das Klavier, er spielt einige Töne. Und dann singen sie. Hoch, immer höher, irgendwann steigen die Männer aus, setzen bei der nächsten Übung, die die tiefen Stimmen fordert, wieder ein. Nach einer Viertelstunde stellen sie sich im Kreis um das Klavier auf. Jetzt geht es richtig los. Die Stücke sind bekannt, kaum einer schaut noch in die Noten. Dennoch gibt es hin und wieder kleine Unsicherheiten. Gröger ist noch nicht zufrieden: „Ihr wart nicht ganz sauber mit den Achteln, wir haben es jetzt auf 80 gemacht, eigentlich soll das auf 100 gehen.“ Musikerdeutsch. Das Tempo ist ihm noch nicht schnell genug. „Ich will, dass wir dieses Stück auf Jazzchor Freiburg-Niveau kriegen, Leute!“, sagt Gröger bestimmt. Stirnrunzeln bei den Chorsängern, aber sie nehmen die Herausforderung an und diesmal klappt es. Man spürt fast körperlich, wie sich eine Energie ausbreitet, sobald sie singen. Sie bewegen sich im Rhythmus, tanzen auf der Stelle, sie klatschen, pfeifen, schnipsen mit den Fingern. Das ist Jazz, aber das ist auch Chorgesang. Ein einzigartiger Klang, ein ansteckender Rhythmus, dem man sich nicht entziehen kann. Den man nicht nur hört, sondern auch fühlt und sogar sieht.
Die Probe endet heute um halb elf, aber niemand wirkt müde. „Ich erwarte, dass jeder von euch seine Stimme richtig gut kann!“, sagt Gröger zum Abschluss. Schließlich lobt er sie doch noch: „Ja, Leute, das wird schön!“ Chorsängerin Nina Ruckhaber legt das Mikro zur Seite, in das sie kurz zuvor ein Solo gesungen hat. Seit fünf Jahren ist sie dabei, gehört mittlerweile zu dem fünfköpfigen Chorvorstand und arbeitet nebenberuflich als Chormanagerin. Warum Chor? Warum Jazz? „Alle anderen Chöre singen Pop oder Klassik. Jazz ist anders!“ Auch ihr ist die Begeisterung anzusehen.
Während sich die Anderen auf den Heimweg machen, bereitet sich Fabienne, ein Neuzugang, noch auf den letzten der drei Teile ihres Vorsingens vor. Text- und Tonsicherheit in zwölf Stücken wird geprüft. Der Chorleiter spielt die ersten Töne an, auch der Vorstand bleibt noch, sie versammeln sich noch einmal um das Klavier. Vor Mitternacht werden sie nicht zuhause sein, aber was tut man nicht alles für seinen Chor.
Der Lärm als ständiger Begleiter
Es ist ein Sonntagnachmittag, erstaunlich warm für Dezember. Auf dem Augustinerplatz herrscht reges Treiben, alle Plätze auf den Terrassen der Cafés sind besetzt. Man hört Schweizer, Deutsche und Franzosen durcheinander reden, Kinder hüpfen die Treppenstufen hinunter. Auf der anderen Seite der Kaiser-Joseph-Straße drängeln sich die Menschen durch den Weihnachtsmarkt, aber hier herrscht Ruhe. Das ist leider nicht immer so – zumindest nicht für die Freiburger, die rund um den Augustinerplatz wohnen. Der Platz ist sehr beliebt, vor allem im Sommer. Dann scheint dort lange die Sonne, die Treppenstufen laden ein, zu verweilen. Doch auch wenn die Sonne schon lange weg ist, bleiben viele noch da. Der Lärmpegel steigt an – bei dem einem oder anderem auch der Alkoholpegel.
Christian Himmelsbach hat die Arme verschränkt, sitzt zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Er leitet ein Reinigungsunternehmen in der Gerberau und ist stellvertretender Vorsitzender beim Lokalverein Innenstadt. Man sieht ihm den Unmut über die Lage an, denn der Kampf gegen den Lärm in der Innenstadt dauert schon Jahre. Voranzukommen scheint man nicht so wirklich, zumindest nicht seitens der Anwohner. Himmelsbach erklärt die Lage auf dem Augustinerplatz: „Einerseits wohnen Menschen hier. Auf der anderen Seite benutzen viele den Platz, um sich zu treffen, um zu feiern. Beides ist in Ordnung. Wer in der Innenstadt wohnt, ruft nicht ab 22 Uhr die Polizei, vielleicht aber ab 1 Uhr nachts.“ Der Augustinerplatz sei ein beliebter Treffpunkt, und das zu Recht. Problematisch seien viel mehr die Wenigen, die keine Rücksicht auf die Nachtruhe nehmen würden. „Von den 500, die da sitzen, sind das vielleicht 30 oder 40.“ Da würde auch die „Säule der Toleranz“ nicht weiterhelfen – 2009 auf dem Platz installiert, leuchtet diese ab 22 Uhr zunächst grün und später rot, ein Hinweis darauf, dass bald Stille einkehren soll. Für die Säule ist Freiburg zwar deutschlandweit bekannt geworden, für Ruhe gesorgt hat sie trotzdem nicht. Eine andere Problemzone sei das Bermudadreieck, an dem sich die Bars und damit auch der Lärm konzentrieren.
„Die Stadt ignoriert das. Die weiß, was die Schwierigkeiten sind. Aber die Mehrheit der Gemeinderäte sieht die Probleme der Bewohner nicht und findet das Feiern in Ordnung. Das ist ein sehr kurzfristiges Denken“, meint Himmelsbach ruhig, wie jemand, der das schon viel zu oft gesagt hat. Denn die Freiburger Innenstadt sei doch gerade deshalb attraktiv, weil sie „nicht nur Kulisse“ wäre, sondern auch bewohnt.
Tatsächlich gab es mehrere Versuche, gegen den Lärm in der Innenstadt vorzugehen. 2013 hatte der Gemeinderat die Einführung eines Kommunalen Ordnungsdiensts beschlossen – ein Modell, das im darauffolgenden Jahr wieder kippte. Die Kommunalwahl hatte die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat verschoben und der neue Rat lehnte das Konzept Ende 2014 schließlich ab. Der KOD hätte die Polizei in ihrer Arbeit unterstützen können. So aber sei nicht genug Personal vorhanden. An erster Stelle stünden Einsätze wegen Straftaten und Gewaltakten, erst dann würden die Ruhestörungen folgen. Anfang 2015 schlug man seitens der Stadt eine Alternative vor: Lärmkontrolleure, die in die Kneipen geschickt werden sollen. Der Lokalverein jedoch zeigte sich mit dieser Entscheidung unzufrieden, da nur eine einzige Stelle für das gesamte Freiburger Stadtgebiet geschaffen wurde.
Im Verein hat man ebenfalls Ideen: ein Gaststättenkonzept, das durchgreift. Nur wenige Lokale würden gegen die bereits auferlegten Bestimmungen verstoßen, zum Beispiel durch geöffnete Fenster oder einfachen statt doppelten Türen. Die Stadt allerdings wäre nicht bereit, ordentlich zu kontrollieren. Außerdem wünscht man sich, Anwohner und Feierlustige besser aneinander vorbeizuführen. Das funktioniere jedoch nicht, wenn Bars und Gaststätten dort eröffnet würden, wo bereits viele Leute wohnen. „Es gibt Standorte, die sind einfach ungeeignet“, so Himmelbach. Ein Planungskonzept könnte klarmachen, wo sich Schwerpunkte zum Wohnen befinden. Und weiterhin sei es nötig, die Befugnisse des Freiburger Gemeindevollzugsdiensts auszuweiten. Beim KOD-Konzept von 2013 waren 18 Ordnungskräfte vorgesehen, Himmelsbach hält diese Zahl für unnötig. „Wir hatten damals vier oder fünf Mann vorgeschlagen.“ Ein solcher Dienst steht in der Kritik, vor allem bei der jungen Bevölkerung. Doch es ginge dem Lokalverein nicht darum, „Spaßbremsen“ loszuschicken, auch wenn das so dargestellt worden wäre.
Kleine Erfolge konnte man trotzdem verzeichnen. In der Schiffstraße und in der Gartenstraße meldeten sich Gaststätten, versuchten sich den Forderungen der Bewohner anzupassen. Auch in der Sedanstraße würde es inzwischen Absprachen zwischen Anwohnern und Ämtern geben. Am Schwierigsten sei es, einem Außenstehenden die Belastung zu erklären, meint Himmelsbach zum Schluss. „Wenn ich Besucher hier habe, fragen die mich, hast du das wirklich jede Nacht? Das muss man erleben.“
Melancholie mit einer Prise Optimismus
Ein kühler Luftzug geht durch das urige Kellergewölbe. Duster ist es in der Kneipe und auch ein wenig stickig. Einige der Gäste rauchen. Die meisten haben sich an Tischen und Barhockern verteilt. Andere unterhalten sich stehend. Ein Pärchen knutscht unter einer Deckenleuchte, beide halten eine Flasche Bier in der Hand. Etwas bewegt sich auf der kleinen Bühne im Räng Teng Teng. Auf einmal steht er dort, ganz unscheinbar mit Mundharmonika und Gitarre. Natürlich trägt er die blau-rot gestreifte Mütze, sein Markenzeichen. „Hallo, schön das ihr alle da seid“, begrüßt Sebastian Hesselmann mit sanfter Stimme das Publikum. Die Gespräche verstummen und die Blicke richten sich auf ihn. Dann stimmt der Freiburger Singer-Songwriter behutsam sein erstes Lied an.
Ein paar Tage nach seinem Auftritt sitzt er im Café der Universitätsbibliothek. Diesmal trägt er keine Mütze, die Instrumente hat er gegen einen Rucksack eingetauscht. Es ist Ende November. „Schon erstaunlich, wenn man sich das so überlegt. Vorher habe ich nur auf Open Stages gespielt. Dieses Jahr durfte ich schon Künstler aus vier verschiedenen Ländern bei Konzerten supporten.“ Sebastian erinnert sich an die Anfänge seiner Musik zurück. „Am Ende des Jahres werde ich manchmal etwas melancholisch und überlege mir, was im letzten Jahr alles los war“, erzählt er.
Als melancholisch bezeichnet er auch seine Musik, „mit einer Prise Optimismus.“ Musik mache er, seit er denken kann. Bereits im Alter von drei Jahren besucht der heute 23-Jährige die musikalische Früherziehung. Mit sechs fängt er an, Horn zu spielen. Im Teenageralter kommt Gesang hinzu, kurz darauf bringt er sich selbst das Gitarrespielen bei. „Ich hatte keine Lust darauf, nur Karaoke zu singen. Deshalb habe ich mir die Gitarre meiner Mama genommen und einfach darauf los gespielt.“ Mittlerweile schreibt Sebastian eigene Songs, die er manchmal auch auf der Straße präsentiert. Als Freunde von ihm einmal vor dem Harmonie-Kino Straßenmusik gemacht haben, hat er sich einfach dazugesellt und eine halbe Stunde lang gespielt. „Es war Wahnsinn, wie viele Leute stehengeblieben sind. Es war Samstagabend, 20 Uhr. Die Leute wollten in‘s Kino, waren total entspannt und haben mir zugehört. Das hätte ich nie gedacht.“
Straßenpublikum bezeichnet er als das härteste Publikum der Welt. „Denn die haben ja nicht auf einen gewartet.“ Deshalb sei Straßenmusik eine sehr gute Übung für einen Künstler. Man merkt, dass Sebastian gerne und mit Bedacht über Musik redet. Wenn er erzählt, lehnt er sich zurück, knabbert ab und zu an einem Fingernagel, spricht ganz ruhig. „Ein anderes Mal habe ich Straßenmusik gemacht, als es relativ kalt draußen war und schon dunkel wurde. Ein Mädchen hat sich einfach vor mir auf den Boden gesetzt, der auch kalt war, und mir zugehört. Das fand ich cool.“ Genau dafür mache Sebastian das auch. Um jemanden zu berühren. Dass man dabei zudem ein paar Euro verdient, sei für ihn nur ein schöner Nebeneffekt. Wenn genügend zusammenkommt, kauft er sich von dem Geld eine neue Platte.
Ob Sebastian jemals von seiner Musik leben können wird, weiß er nicht. „Musik ist das, was ich am liebsten machen würde. Allerdings bin ich Realist genug, um zu erkennen, dass das nicht einfach ist.“ Wenn er nicht gerade musiziert oder Songs schreibt, studiert Sebastian Lehramt. Ursprünglich kommt er aus der Nähe von Münster und ist für das Studium nach Freiburg gezogen. Hier haben sich schon einige Möglichkeiten für ihn und seine Musik aufgetan – so auch das Konzert im Räng Teng Teng.
Sein dortiger Auftritt endet mit erkenntlichen Worten an das Publikum. Es war Sebastians letztes Konzert für dieses Jahr. „Danke, dass ihr hier wart und mir zugehört habt.“ Wenn Sebastian das sagt, klingt es nicht nach einer Phrase. Er meint es ernst. Die Bühne verlässt er genau so diskret, wie er sie betreten hat.
Stille muss man lernen
Ein Krankenwagen rattert durch die Straße, die Sirene heult, Autos halten an. Fußgänger sehen dem Blaulicht kurz hinterher. Nur wenige Meter vom St. Josefskrankenhaus entfernt ist der Anblick von Krankenwägen nichts Besonderes. Die Sirene hallt noch immer nach, als die Autofahrer den Motor wieder starten und die Karlsstraße weiter entlangfahren, man hört: ganz normalen Straßenlärm. Aber schon wenn man in die nächste Seitengasse einbiegt und sich den Mauern des Alten Friedhofs nähert, rücken die Geräusche in den Hintergrund. Statt quietschenden Reifen vernimmt man das Zwitschern der Vögel, die Kieselsteine, die unter den Füßen knacken.
Nicht umsonst haben Pfarrerin Irene Leicht und ihr Team den Alten Friedhof in Freiburg als einen der „Orte der Stille“ ausgewählt. Mitte Oktober stellten sie ihn zusammen mit vielen anderen bei der „Woche der Stille“ in Freiburg vor, inspiriert von einer gleichnamigen Aktion in Frankfurt. Mehr als tausend Freiburger beteiligten sich laut Leicht: bei Meditationen, einem Silent Dinner und einer stillschweigenden Straßenbahnfahrt durch Freiburg, bei Lesungen, Konzerten und Schulungen. Noch weit mehr Gruppen stellten ihre ganz eigenen Aktionen auf die Beine – alle mit dem Ziel, Stille in der Stadt zu erfahren.
Irene Leicht ist in Freiburg für die Stadtkirchenarbeit der Evangelischen Kirche zuständig. Sie war überrascht von der großen Resonanz, sieht darin aber auch einen Bedarf der Freiburger: „Dass gerade in der Stadt viele Menschen unter Lärm leiden, legt nahe, Räume der Stille neu zu entdecken und zur Ruhe zu kommen.“ Wichtig sei nicht nur, solche Räume zu finden, sondern sie auch kreieren zu können. Deshalb hatte man bereits im Juli einen Workshop für Erzieher und Lehrer angeboten, um sich intensiver mit der Stille in Schulen und Kindertagesstätten auseinanderzusetzen: „Wie ist es, wenn wir ganz still werden, unseren Körper spüren, was geht uns dann durch den Kopf? Das sind eher elementare Wahrnehmungsangebote, die aber wichtig sind.“ Auch um besser zuhören und kommunizieren zu können, bräuchte man ein eigenes inneres Schweigen.
Das zu lernen sei durchaus eine Haltungsfrage. „Stille ist nicht, was ich eine halbe Stunde lang auf meinem Kissen suche. Sie ist eigentlich immer da.“ Man müsse sich darauf einlassen können. „Das ist in Freiburg aber auch nicht schwer“, meint Leicht und lacht dabei. Die grüne Einstellung der Stadt habe ebenfalls viel mit Ruhe und Sanftheit zu tun. Wohl ein Grund, weshalb die Freiburger dem Thema gegenüber aufgeschlossen zu sein scheinen.
Nicht nur in Freiburg ist Stille ein Thema. Irene Leicht zieht die Schultern nach oben und runzelt ein wenig die Stirn: „Das ist im Moment natürlich extrem aktuell im Hinblick auf den Syrien-Konflikt, nicht immer gleich zu den Waffen greifen.“ Das Gegenteil von Stille: Lärm. Ein Wort, das aus Alarm entstand, welches wiederum aus dem Italienischen kommt: all’arme, „zu den Waffen“. Für Leicht symbolisiert Stille deshalb auch immer Frieden. Und dennoch sei sie etwas sehr ambivalentes. Sie stehe für Angst, für Totenstille, Unsicherheit, Schweigen. Wer kennt es nicht, wenn sich nachts im Bett vor allem die negativen Gedanken in der Stille ausbreiten. Aber das gehört für Leicht dazu: „So ist das Leben. Es ist bedrohlich, aber man muss lernen, wie man damit umgehen kann. Stille ist eben kein reines Wohlfühlprogramm.“
Wie klingt Freiburg nun eigentlich? Hier ein ganz persönlicher Vorschlag:
Texte, Tonaufnahmen und Bilder von Simone AHRWEILER, Theresa STEUDEL und Nina ZEINDLMEIER